U iščekivanju/In Expectation

Im Zuge der Diplomarbeit von Mario Ilić in der Klasse Angewandte Fotografie und Zeitbasierte Medien wurden die Bewohnerinnen des Altersheims Dom Penzionera Tuzla über den Zeitraum eines halben Jahres in ihren neuen alltäglichen Lebenssituationen fotografiert und eine Fotopublikation erstellt. Das Buch zeigt die sehr persönlichen Beziehungen und Freundschaften zu den Bewohnerinnen in ihrer neuen Umgebung.

Der fünfte Aspekt, der wohl wichtigste, unter dem das Werk betrachtet werden sollte, stellt letztlich nichts weniger als eine Metapher auf das Medium Fotografie insgesamt dar. Denn wie jede Form der grafischen Darstellung – ikonisch, symbolisch – hat die Fotografie in ihrem Kern einen zutiefst testamentarischen Charakter. Wie schon der mythische Ursprung der menschlichen Repräsentation offenbart (die Legende, nach der die junge Debutade die Silhouette ihres in den Krieg ziehenden Geliebten grafisch an der Wand festhielt), „inventarisiert“ die Fotografie, um Susan Sontags berühmter Formulierung zu folgen, die Sterblichkeit. In einer Geste des Festhaltens wird das Verschwinden technisch und grafisch aufgehalten und ein Zeichen erzeugt, dessen Bedeutung noch erhalten bleibt, obwohl sein Bezug nicht mehr da ist. Ob nun der Bildgegenstand ein Gebäude, eine fliehende Blüte, ein Stillleben oder eine abstrakte Form ist, der testamentarische Charakter der Fotografie ist ihm unweigerlich und unabhängig eingeschrieben. Das Medium verdoppelt Ilićs Integration dieser fotografischen Grundqualität mit den Bewohnern des Altersheims, die ihrem Tod entgegendämmern, zu einer manifesten Metapher. Im verfallenen Inventar des Altenheims inventarisiert es das Sein zum Tode in einem Licht, das ebenfalls immer weniger zu werden scheint, dann mutiert die verfallene blaue Anzeigetafel zum schmerzlosen Index der Fotografie schlechthin.

Über das schwindende Licht, Meinhard Rauchensteiner, 2019

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